Sie sehen unspektakulär aus – und sind für die Sylter und Föhrer Geschichtsforschung ungemein wichtig: Die Sylter Heimatforscherin Silke von Bremen hat in Halle fünf 300 Jahre alte Puppen wiedergefunden, die ein neues Bild der Sylter Trachten vermitteln. Im Interview mit der Sylter Rundschau erklärt sie, was an den Puppen so besonders ist – und wie sie sie überhaupt aufgetrieben hat.
Frau von Bremen, wie sind denn Sylter Modepuppen vor 300 Jahren in Halle gelandet?
Es gibt Belege dafür, dass der 1723 geborene Amrumer Andreas Wedel die Puppen als eine Art Gastgeschenk mitgebracht hat, als er zur Schule nach Halle geschickt wurde. Über den jungen Mann verlieren sich dann aber leider bald die Spuren.
Von diesen Puppen weiß auf Sylt bisher kaum jemand etwas. Wie haben Sie herausgefunden, dass es sie gibt?
Bei meinen Recherchen zu Sylt im Dritten Reich bin ich auf einen kleinen Artikel von 1931 gestoßen, in dem es um fünf nordfriesische Trachtenpuppen ging, die das Altonaer Museum in Halle ausgeliehen hatte. Bei meinen Nachforschungen stellte sich dann heraus, dass das Altonaer Museum damals Nachbildungen angefertigt hat. Gemeinsam mit der Museumsleiterin Dörte Ahrens, der Vorsitzenden des Brauchtumsausschusses der Söl´ring Foriining Ute Häßler und Heidi Holst, der wir mit zu verdanken haben, dass vor 40 Jahren die Sylter Trachtengruppe gegründet wurde, bin ich im Dezember nach Altona gefahren. Wir waren dann völlig von den Socken, als wir da diese kopierten Puppen aus den 30er Jahren stehen sahen. Vor allem deshalb, weil ganz viel, was uns da anschaute, nicht mit dem übereinstimmt, was wir von den Sylter Trachten wissen.
Welches Wissen über die Sylter Trachten hatten Sie denn vorher?
Zum einen, das war der Grund für die Gründung der Trachtengruppe, wurde auf einem Dachboden in Morsum die sogenannte Lauritzen-Tracht gefunden, genauer gesagt der Rest einer Tracht. Es gab Kupferstiche von einem Herrn Rieter und vom Sylter Chronisten Henning Rinken, Jahrgang 1777, einen Text, in dem er sehr detailgenau beschreibt, wie die Sylter Tracht aussah. Damit hatte man ein Stück Original-Stoff und eine Art Anleitung. Und mit Hilfe der Gewandmeisterin Margrit Werner-Book machte man sich an die Arbeit. Damals in den 70er Jahren gab es eine Art Rückbesinnung auf die alten Werte. Man erkennt das auch sehr schön in den Denkmalschutzbestrebungen und Naturschutzbewegungen dieser Zeit. Vieles war in der Wirtschaftswunderzeit verloren gegangen, jetzt bemühte man sich, die schwindende Heimatkultur zu retten.
Das war in den 70ern. Wie stand es denn vorher mit den Sylter Trachten?
Das ist spannend. Die noch im 18. Jahrhundert getragene Tracht, war ja verschwunden. In den 20er Jahren wurde dann der erste Versuch gestartet, eine Sylter Tracht zu entwickeln, die aber offenbar nicht angenommen wurde. Aber der zweite Versuch nach der Machtergreifung 1933, war erfolgreicher. Die sogenannte blaue Tracht hatte einen schönen Schnitt, wurde mit Filigranarbeiten geschmückt und entsprach dem Zeitgeschmack. Also, nicht alle Frauen trugen diese Kleidung, aber doch so viele, dass diese Tracht bis heute noch existiert.
Dann aber, in den 70ern, wollte man auf die ursprüngliche Tracht zurück. Es wurde das geschneidert, was die Damen, die heute in der Trachtengruppe sind, tragen, und das hat unser Bild der Sylter Trachten maßgeblich geprägt. Und dann kommen wir ins Altonaer Museum, stehen vor diesen Puppen und sehen Kleider und Details, die wir nicht klar zuordnen können. Teilweise gibt es Ähnlichkeit mit alten Kupferstichen, auf alle Fälle sieht es nicht so aus wie die Bilder von Rieter. Gleichzeitig aber ist auch klar, dass die Kleidung der Puppen nicht irgendeiner Phantasie entsprungen ist: Es gibt im Flensburger Museum einen Handschuh aus Leder, der reich bestickt ist. Und genau diese Stickerei finde ich auf den Handschuhen der einen Puppe wieder. Wir haben also ein Gegenstück, das zeigt, dass Handschuhe damals offenbar so gefertigt wurden. Also kann ich davon ausgehen, dass beispielsweise auch die Röcke der Puppen nach einer Originalvorlage gearbeitet sind.
Woran, meinen Sie, liegt es, dass unsere Vorlagen und die Puppen so verschieden sind?
Das, was die Puppen anhaben, ist 80 Jahre älter als die uns bekannte Tracht. Das heißt, die Frauen haben ihre Kleidung im Laufe der Zeit verändert. Mode gab es also damals schon. Und das Irre ist eben, dass die Kleidung dieser Puppen eine Dokumentation von Kleidungsstücken ist, von denen wir vorher gar nichts wussten. Das heißt: Ohne diese Puppen, würden wir zukünftig unser jetziges Trachtenbild behalten. Als wir in Hamburg waren, hatte ich mittlerweile rausgefunden – und das konnte ich erst gar nicht glauben– dass die Originalpuppen noch existieren. Die stehen in einem Schrank in der Wunderkammer der sogenannten Frankischen Stiftung in Halle. Und dass sie noch existieren, ist wirklich ein Wunder: Die Puppen hatten Napoleon und beide Weltkriege überlebt, doch in der DDR-Zeit wurde sich um die Stiftung nicht weiter gekümmert: Das Haus zerfiel, es hat dort durchgeregnet, die ganze Wunderkammer war der Witterung ausgesetzt und manche Hallenser sind da durchgegangen und haben das eine oder andere genommen .Wie gut also, dass die Puppen auf den ersten Blick nicht wirklich attraktiv sind – die haben sie nicht mitgenommen. Nach der Wiedervereinigung dann wurde diese Wunderkammer mit einem irren Engagement renoviert. Als ich die Puppen dort im Februar gesehen habe, hat mich das wirklich berührt.
Warum?
Weil ich mich gefragt habe: Wer hat die gefertigt? Was für ein Material ist das? Der junge Mann, der zum Studieren mit den Puppen nach Halle geschickt wurde, stammte von Amrum. Bei den Puppen sind aber, soweit ich das sehe, drei in Sylter und zwei in Föhrer Tracht. Warum ist da keine Amrumer Puppe dabei? Und warum gab es diese Puppen überhaupt? Wurde mit denen auch gespielt? Ich kenne keine anderen Aufzeichnung von solchen Puppen. Sie sind ja auch für die Föhrer interessant: Die haben ihre ursprüngliche Tracht ja auch verloren, die Föhrerinnen haben sich im 19.Jahrhundert ja auch eine neue Tracht ausgedacht.
Was würden Sie sich wünschen, was nun mit den Puppen geschehen soll?
Sie sind in keinem guten Zustand, sie müssten dringend in die Hände eines guten Textilrestaurators. Es wäre sensationell, wenn wir sowohl die Originalpuppen, als auch die Kopien herholen könnten, um sie in einer Ausstellung zu zeigen. Und angenommen, man dürfte diese Puppen untersuchen: Dann könnte man beispielsweise Haarproben nehmen (sie tragen Echthaar!) und eine DNA–Analyse machen. Die eine Puppe trägt Fell – da könnten wir herausfinden, was das für Schafe gewesen sind – die Puppen sind also auch volkskundlich total spannend.
Autor: Friederike Reußner
– den Artikel finden Sie auch in der Schleswig-Holstein-Zeitung online – shz.de
Wenn Sie über die spannende Spurensuche über den Weg der Puppen nach Halle noch mehr wissen wollen, empfehle ich Ihnen meinen Artikel vom 2./3. April 2015 aus den Sylter Nachrichten – hier als PDF.